Statement nrw landesbuero tanz
Das NRW-Förderdesaster für die freie Szene geht weiter
Die Kürzungen des NRW-Kulturministeriums (MKW) in den freien darstellenden Künsten kommen einem Kahlschlag gleich.
Die Einsparungen durch die am Jahresanfang beschlossenen Kürzungen von Tanzstrukturen sowie von international ausgerichteten Projekten und Netzwerken sollten laut MKW eigentlich den Künstler:innen zugutekommen. Doch: Weit gefehlt. Das Gegenteil ist der Fall.
Auch die Zielsetzung des MKW [1], wie am 16. Januar 2025 im Ausschuss für Kultur und Medien des Landes NRW verkündet, an der Struktur der Förderprogramme festzuhalten, ist nun nicht mehr belastbar. Hat doch die Prüfung der überjährigen Förderprogramme durch das MKW zu einem katastrophalen Ergebnis für die gesamte freie Szene in den darstellenden Künsten geführt. Die Politik der Landesregierung zielt auf einen massiven Abbau von gewachsenen und wichtigen Kulturprojekte ab. Beabsichtigt ist eine massive Kürzung der dreijährigen Förderprogramme im Bereich Theater und bei Kinder- und Jugendtheatern. Für die verschiedenen Programme bedeutet dies:
- Die Spitzen- und Exzellenzförderung für Theater soll um fast 50 Prozent reduziert werden.
Bereits im Juni 2025 laufen die bestehenden Förderbewilligungen aus – ein drastischer Einschnitt in eine über 13 Jahre gewachsene Förderstruktur. Für zahlreiche etablierte Künstler:innen und Netzwerke bedeutet das eine akute existenzielle Bedrohung. Mit ihrem innovativen und experimentellen Charakter setzt die freie Szene wichtige Akzente, die oftmals als Impuls von staatlichen bzw. kommunalen Häusern aufgegriffen werden. Die einschneidenden Streichungsmaßnahmen für die über die Landesgrenzen hinaus bedeutende Szene werden Lücken im Gesamtgefüge des eng kalkulierten Produktionssystems reißen und langfristig zum Verlust der überregionalen Bedeutung der Szene führen. Das gilt es zu verhindern.
- Die Spitzenförderung Kinder- und Jugendtheater wird ab sofort eingestellt.
Diese Entscheidung betrifft maßgeblich eine bundesweit anerkannte Szene freier Ensembles, die mit innovativen und qualitativ herausragenden Produktionen das junge Publikum in NRW und weit darüber hinaus erreicht. Die bisherige Fördersumme wird um 50 Prozent gekürzt und dann nochmals geteilt: Vier anstelle der derzeit sechs geförderten Gruppen sollen eine deutlich niedrigere Dauerförderung des Landes erhalten. Die andere Hälfte soll in Produktionshäuser für Kinder und Jugendtheater gehen. Für die Künstler:innen bedeutet dies eine Kürzung der ihnen zur Verfügung stehenden Fördersumme um 75 Prozent. Die radikale Kehrtwende in der Förderpolitik legt die Vermutung nahe, dass im Bereich Kinder- und Jugendtheater eher eine Basisförderung „ausreichen“ soll. Der Verzicht auf Ausschreibungs- und Juryverfahren stellt darüber hinaus einen großen Rückschritt in Bezug auf eine transparente und auf Diversitätsentwicklung setzende Förderpolitik dar. - Über die Zukunft der mehrjährigen Konzeptions- und Tanzförderungen macht das Kulturministerium derzeit keine Angaben. Besonders gravierend ist die Situation, da die dreijährige Konzeptionsförderung, deren nächste Förderperiode bereits zum 1. Januar 2026 beginnen sollte, für viele Kompanien das zentrale Förderinstrument darstellt. Sie ist essentiell für die Planungssicherheit und wird von der vielfältigen Tanz-, Theater- und Zirkusszene stark nachgefragt. Aufgrund der erheblichen Kürzungen in der Exzellenz- und Spitzenförderung ist damit zu rechnen, dass die Belastung der übrigen Förderprogramme deutlich zunimmt.
Das Ministerium betont mehrfach, dass es auf Grund der Haushaltslage „auf Sicht fahren“ muss. Die Kurzfristigkeit in den Entscheidungen und die Verabschiedung von der Mehrjährigkeit lässt die Künstler:innen jedoch ohne Perspektiven, mit enormem Zeitdruck, maximaler Verunsicherung und dramatischer Existenzbedrohung zurück. Allein die Kurzfristigkeit kommt dem Charakter einer Verkündung gleich und weicht von jedem Gedanken partizipativer Suche nach Lösungen ab. Dialog sieht anders aus! Eine Übergangsfinanzierung für die besonders betroffenen Gruppen würde die notwendige Zeit für strukturelle Anpassungen schaffen.
Darüber hinaus hätten Kürzungen von 50 bis 75 Prozent einen gravierenden Dominoeffekt: Ohne die nötige Kofinanzierung durch das Land sind Bundes- und EU-Fördermittel für viele Kunstschaffende in NRW nicht mehr zugänglich. Auch internationale Kooperationen müssen häufig abgesagt werden, da die notwendige Planungssicherheit und finanzielle Grundlage fehlen. Die Strategie des „Auf-Sicht-Fahrens“ entwickelt sich für die Künstler:innen zur ungebremsten „Fahrt gegen die Wand“.
Das nrw landesbuero tanz appelliert an das NRW-Kulturministerium, an Ministerin Ina Brandes und an die Landesregierung, die für die freie Szene folgenschweren Kürzungsentscheidungen zu überdenken und zurückzunehmen. Die Konsequenzen für die gesamte freie Szene – für Künstler:innen, Strukturen, Häuser, Netzwerke und Festivals – wären so folgenschwer, dass gemeinsam andere tragfähige Lösungen entwickelt werden müssen, um der Abschaffung der herausragenden freien zeitgenössischen Szene in den darstellenden Künsten in NRW entgegenzuwirken.
Das Landesbüro fordert vom Kulturministerium und der Landesregierung frühzeitig mit den exzellenz-, spitzen- und konzeptionsgeförderten Tanzschaffenden in einen transparenten Austausch über die Fortführung der Förderung zu treten. Planungssicherheit, Dialog und partizipative Kommunikation sind kein Luxus. Sie sind die Grundlagen für künstlerische Freiheit, kulturelle Teilhabe und ein lebendiges, demokratisches Kulturleben in NRW. Dies aber wird gerade missachtet.
Köln, 12.05.2025
nrw landesbuero tanz
[1]
Quelle: Landtag Nordrhein-Westfalen 18. Wahlperiode Ausschussprotokoll APr 18/805 16.01.2025 Ausschuss für Kultur und Medien 37. Sitzung, S. 45: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMA18-805.pdf
Mitteilungen aus der Freien Szene in NRW
Statement NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste
Statement nrw landesbuero tanz
Pressemitteilung Freie Szene
Pressemitteilung Kulturrat NRW
Veröffentlichungen in den Medien
wdr.de: Freie Theaterszene: NRW-Kulturrat kritisiert Kürzungen (14. Mai 2025)
Bonner General-Anzeiger: Theaterensembles aus Bonn und Köln sehen ihre Existenz bedroht (13. Mai)
tanznetz.de: Kollaps der Freien Szene (13. Mai)
tanzweb.org: Aufruhr in der Tanz- und Theaterszene NRW (13. Mai)
nachtkritik.de: Jugend ohne Zukunft? (13. Mai)
WDR 3 Resonanzen: Kahlschlag in der freien Theaterszene? Interview mit Angie Hiesl (12. Mai)
Deutschlandfunk Kultur: Freie Theaterszene alarmiert: NRW bringt Mittelkürzung auf den Weg. Interview mit Ulrike Seybold (12. Mai)
nachtkritik.de: Freie Szene NRW: Drastische Einschnitte angekündigt (11. Mai)
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